Andreas-Hofer-Straße

Stadtteil Wilten

März 2017 © Thomas Kleissl 

Andreas-Hofer-Straße 3

In der Andreas-Hofer-Straße 3 bewohnte das Ehepaar Martin und Rosa Steiner eine Wohnung im ersten Stock. Der 69-jährige Martin Steiner erlitt beim Überfall eines Rollkommandos der SA oder des NSKK Verletzungen am Fuß und Kopf sowie an den Rippen, auch seine 65-jährige Ehefrau Rosa Steiner, geborene Brüll wurde nicht verschont. Aufgrund der  schweren Verletzungen muss Martin Steiner längere Zeit einen Gehstock verwenden. Am 28. Dezember 1938 übersiedelt das Ehepaar nach Wien, wo Martin Steiner 1941 stirbt. 1942 wird seine Witwe ins KZ Theresienstadt deportiert und im Vernichtungslager Maly Trostinec ermordet. Ihre Tochter Gabriele überlebt als einzige. Ihr gelang bereits nach dem Anschluss die Flucht in die Vereinigten Staaten.

Martin Steiner war bis zur Arisierung im Sommer 1938 Inhaber der Firma S. Steiner, einer Likörfabrik, Branntweinbrennerei und Teegroßhandlung.


März 2017 © Thomas Kleissl 

Andreas-Hofer-Straße 13

In der Pogromnacht verschafft sich eine Gruppe des NSKK-Sturmes 5 (Pradl) unter der Leitung von Obertruppführer Josef Ebner mit Gewaltandrohung Einlass in die Andreas Hofer Straße 13. Die Wohnungstüre der Familie Schindler im ersten Stock wird eingeschlagen. Hugo Schindler wird von Scharführer August Hörhager mit einer Rodel und durch Fußtritte im Gesicht schwer verletzt, er blutet stark und bleibt bewusstlos liegen. Seine Schwägerin Grete bleibt unverletzt. Die Einrichtung der Wohnung mitsamt Porzellan, Gläsern und dem Klavier werden zertrümmert. Der im dritten Stock wohnende Arzt Dr. Otto Biendl verarztet Hugo not, lässt ihn in ein Sanatorium bringen und verhindert dadurch eine Festnahme von Hugo durch die Gestapo. Edith Schindler, geborene Roth lebte bereits seit Februar 1938 in London, wohin ihr der 13-jährige Sohn Kurt und ihre Eltern im September 1938 nachfolgen. Hugo Schindler´s 81-jährige Mutter Sofie übersteht die Pogromnacht unbeschadet in Igls.

Hugo Schindler stammt aus einer Unternehmensfamilie. Seit 1887 wohnten seine Eltern Samuel und Sofie Schindler im ersten Stock in der Andreas Hofer Straße 13. Die „Erste Tiroler Fruchtsaftpresserei, Landesproduktenbrennerei und Liquörfabrik Samuel Schindler“ hatte ihren Firmensitz im Erdgeschoss  Das Angebot umfasste Liquöre, Schnäpse, Marmeladen, Kompotte, u.v.m.. Die Familie bewohnte später eine Villa in Igls.

Nach dem Tod ihres Mannes Samuel am 02. März 1915 übernimmt Sofie Schindler, geb. Dubsky die Geschäftsführung der Firma. Ihre Söhne Otto, Hugo, Erich und Erwin dienten als Soldaten im Ersten Weltkrieg. Erwin Schindler stirbt 22-jährig am 9. Juli 1915 bei einem Fronteinsatz in Polen. Nach dem Ersten Weltkrieg übernehmen Hugo und Erich die Firma, ihre Mutter Sofie bleibt in die Entscheidungen eingebunden. Otto Schindler studierte Medizin, arbeitete als Dermatologe in Wien und war ein Pionier in der Radium Therapie. Am 6. Juli 1934 nimmt sich Otto in der Nähe von Innsbruck das Leben. 

Hugo und Erich eröffnen im Dezember 1922 das „Café Schindler“ in der Maria Theresien Straße 29, das sich mit seinen Spezialitäten und dem Tanzcafé zu einem Hotspot für kulturelles und soziales Leben entwickelt. 1925 kaufen Hugo und Erich ein Grundstück am Renweg 10, wo 1930 die „Schindler Villa“ nach Plänen des Architekten Hermann Muthesius fertiggstellt wird und Hugo mit seiner Frau Edith, geb. Roth und ihrem gemeinsamen Sohn Kurt einziehen. Erich und seine Frau Margarete „Grete“, geb. Herschan wohnen mit ihrem Sohn Peter weiterhin in der Andreas Hofer Straße 13. Martha Schindler, die einzige Tochter von Sofie und Samuel, lebte mit ihrem Mann Siegfried Salzer und ihren Kindern Erwin und Marguerite in Wien. 

Spätestens nach der Machtübernahme durch die Nationialsozialisten im März 1938 veränderte sich das Leben für die jüdischen Familien durch nächtliche Ausgangssperren, Betretungsverbote für Kinos, Theater und für den Hofgarten sowie den Ausschluss der Kinder von den Schulen massiv. Zwangsarisierungen von jüdischen Betrieben und Besitztümern wurden in die Wege geleitet. Am 15. April 1938 werden die Auslagen und Hauswänder zahlreicher jüdischer Betriebe mit antisemitischen Parolen beschmiert.

Cafe Schindler, Maria-Theresien-Strasse 31, 1938

Café Schindler, Maria-Theresien-Straße 29, 15. April 1938 (a)

 Bereits im Sommer 1938 wird Hugo wegen fraglicher Steuerhinterziehung verhaftet und im früheren „Gasthaus Sonne“ in der Nähe des Hauptbahnhofes fesgehalten. Im Auftrag von Gauleiter Franz Hofer und unter Androhung einer erneuten Inhaftierung wickelt die Innsbrucker Sparkasse die Arisierung der „Schindler Villa“ ab. Vom vereinbarten Kaufpreis von 60.000 Reichsmark sehen die Schindler Brüder nie einen Cent. Der Gauleiter bewohnte mit seiner Frau und den sieben Kindern von Juli 1938 bis Mai 1945 die Villa am Rennweg. 

Der SS-Sturmführer Franz Hiebl, ein gebürtiger Innsbrucker, frühes NSDAP-Mitglied und Illegaler der ersten Stunde war Profiteur der Arisierung des „Café Schindler“. Ab 4. Juni 1938 wird das“ Café Patisserie Hiebl“ zu einem beliebten Treffpunkt für Nazis.  Die Wohnung und die Destilleriefirma in der Andreas Hofer Straße 13 wurden von Erwin Jäger „arisiert“. Auch die Villa in Igls muss im März 1939 zwangsverkauft werden.

Nach dem Pogrom müssen Hugo und seine Mutter Sofie Innsbruck verlassen. In Wien beziehen sie eine Wohnung von Marguerite, der Tochter von Martha Salzer. Erich, Grete und Peter folgen ihnen nach. Während den Brüdern eine Zwangsemigration nach England gelingt, ist ihrer Mutter Sofie und ihrer Schwester Martha ein anderes Schicksal bestimmt. Sofie, Martha und deren Mann Siegfried Salzer werden am 27. August 1942 von Wien nach Theresienstadt deportiert. Sofie stirbt dort am 4. September 1942 und Siegfried am 15. September 1942. Martha wird am 16. Mai 1944 nach Auschwitz verlegt und dort ermordet.

Erich stirbt 1941 an einem Herzinfarkt in England. Hugo kehrt 1950 mit seiner Familie nach Innsbruck zurück. Durch mühsame Restitutionsverfahren konnte die Andreas Hofer Straße, das Café und die Villa wieder zurückgewonnen werden. Die „Schindler Villa“ wurde nach Kriegsende von der französischen Besatzungsmacht besetzt.

Hugo Schindler stirbt am 13. Juni 1952 in seinem Büro in Innsbruck. Das 1950 wiedereröffnete „Café Schindler“ wurde im Herbst 1959 an neue Betreiber übergeben. Meriel Schindler, die Tochter von Kurt berichtet in ihrem Buch „Das Café Schindler“ von einem bizarren Besuch ihres Vaters beim ehemaligen Gauleiter Franz Hofer in Mühlheim-an-der-Ruhr. Dabei stellte Kurt Mietnachforderungen an den Gauleiter für die 7-jährige Bewohnung der Villa.

Im September 2020 wurden in der Maria Theresien Straße 22 in 1090 Wien Stolpersteine für Sofie Schindler, Martha und Siegfried Salzer verlegt.

Stolpersteine Maria Theresien Straße 22, 1090 Wien – © Manfred Mühlmann

Hinweis: Am 06. April 2024 findet die Uraufführung des Theaterstücks „Café Schindler“ nach der biografischen Erzählung „Das Café Schindler“ von Meriel Schindler im Tiroler Landestheater statt.

Freidrad-Interview von Michael Haupt mit der Autorin Meriel Schindler vom 8. April 2022.


Andreas-Hofer-Strasse_29

November 2008 © Thomas Kleissl

Andreas-Hofer-Straße 29

In der Andreas-Hofer-Straße 29 wohnte der Witwer Arthur Goldenberg mit seinem jüngeren Sohn Fritz. In jener Nacht drangen bis zu sechs Täter in die Wohnung ein und schlugen ihm mehrere Zähne aus.

Der ältere Sohn Alfred konnte im Herbst 1938 nach Palästina flüchten, während sich seine Frau Rosa, geb. Gutstein am 02. November durch einen Sprung aus dem Fenster das Leben nahm. Fritz und sein Vater erreichten 1939 Palästina.

Das Ehepaar Julius und Emma Pasch, geb. Schneider und zwei ihrer Kinder – Ruth und Gerda, wurden Anfang November aus deren Wohnung in der Anichstraße 1 vertrieben und vorübergehend bei Anna Seidl und Adolf Neumann, in die Andreas-Hofer-Straße 29 einquartiert. Dort wurden sie Zeugen des Selbstmords von Rosa Goldenberg und waren beim Überfall der SS in der Pogromnacht zugegen, bei dem das ältere Paar schwer geschlagen wurde. Die Täter übersahen dabei das Ehepaar Pasch und verschonten deren Töchter.

Adolf Neumann wurde nach Polen deportiert und dort ermordet, während Anna Seidl das KZ-Theresienstadt überlebte und 1945 wieder nach Innsbruck kam. Anna Seidl`s Sohn Willi gelangte im März 1938 nach Wien und flüchtete im Februar 1939 nach Palästina, wo er 1939 bei einem Minenunfall starb.


Andreas-Hofer-Strasse 40

November 2008 © Thomas Kleissl

Andreas-Hofer-Straße 40

Flora Bauer, geb. Gold, Witwe von Julius Bauer und ihr Sohn Stefan wohnten in der Andreas-Hofer-Straße 40, wo beide in der Nacht überfallen und verletzt wurden. Wilhelm Bauer, der zweite Sohn von Flora Bauer wohnte mit seiner Familie in der Gänsbacherstraße 5 und wurde in jener Nacht ermordet.

Flora, Stefan, Wilhelm und Julis Bauer 1916 (b)

Flora Bauer wurde am 13. April 1942 ins KZ Theresienstadt deportiert und am 26. September 1942 im Vernichtungsort Maly Trostinec umgebracht. Stefan Bauer – später Bower – wanderte 1939 von Wien über Genua nach Neuseeland aus, wo er ein Bekleidungsgeschäft gründete, welches sein Sohn Ron Bower übernahm.

Vom 13. Jänner 2002 stammt folgender Gästebucheintrag von Ron Bower:

„Incredible site, I knew some of the details about this, but to see my family names there, was very emotional. If anybody has any informations that can help me in my family reseach, I would appreciate it very much.“ Ron Bower


update 06.11.2023

Hinweis:

Im Juni 2006 besuchte Ron Bower mit seiner Frau Sandra erstmals Innsbruck. Zusammen mit Ingeborg Brüll besichtigten wir das Haus in der Gänsbacherstraße, wo sein Onkel Wilhelm ermordet wurde, das Wohnhaus seines Vaters Stefan in der Andreas-Hofer-Straße sowie den Jüdischen Friedhof.

Literatur:

Martin Achrainer < Das Pogrom-Denkmal > in: Gabriele Rath / Andrea Sommerauer / Martha Verdorfer (Hg.), „Bozen Innsbruck – zeitgeschichtliche stadtrundgänge“, Folio Verlag 2000, S 85 – 89

Thomas Albrich (Hg.) < Die Täter des Judenpogroms 1938 in Innsbruck > Haymon Verlag 2016, S 317-344

Ernst Oppenheim < To Remember Me By - First Crusade Through Holocaust - Facts, Fragments, Lore and Legends > Nobis Press

Meriel Schindler < Café Schindler. Meine jüdische Familie, zwei Kriege und die Suche nach Wahrheit > Berlin Verlag 2022

Horst Schreiber < Jüdische Geschäfte in Innsbruck - Eine Spurensuche, Projekt des Abendgymnasiums Innsbruck > Tiroler Studien zu Geschichte und Politik 1, herausgegeben von der Michael-Gaismair-Gesellschaft, StudienVerlag 2001, S 29-31

Gad Hugo Sella < Die Juden Tirols - Ihr Leben und Schicksal > Israel 1979, S 86-88

Maria Luise Stainer < "Ich hab´mich gefühlt wie bei der Vertreibung aus dem Paradies" - Berichte Vertriebener aus Tirol > in: Thomas Albrich (Hg.), „Wir lebten wie sie…“. Jüdische Lebensgeschichten aus Tirol und Vorarlberg, Haymon-Verlag Innsbruck 1999, S. 355-372

Bildnachweis:

(a) Café Schindler – © Niko Hofinger

(b) Privatbesitz Ron Bower

Quellen:

„Die Misshandlung von Martin und Rosa Steiner“ – https://pogrom-erinnern.at – last visit 17.10.2021

„Wenn er kaputt geht ist’s auch gleich!“ Der Überfall auf Hugo Schindler – https://pogrom-erinnern.at – last visit 17.10.2021

Freidrad-Interview von Michael Haupt mit Meriel Schindler vom 8. April 2022. – https://cba.fro.at/551395 – last visit 20.10.2023

Ron Bower – diverse Emails, Besuch Innsbruck 2006

Valerie Neal – Email November 2007

Verlegung Stolpersteine für Sofie Schindler, Martha Salzer und Siegfried Salzer – https://steinedererinnerung.net/projekte-2/9-bezirk/eroeffnung-september-2020/ – last visit 06.11.2023

Hermann Muthesius – https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Muthesius

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